Hässlich oder ästhetisch? Abgestorbene Brutbäume durch Kormorane. (Foto: Wojsyl) |
von Anja Grabs
Die Antwort auf die Frage, ob wir die Natur vor sich selbst schützen müssen lautet oft „Ja.“ und sie kommt
nicht nur aus den Reihen der Menschen, die sich nie mit Naturschutzfragen
auseinandersetzen sondern auch von Naturschützern selbst. Als besonders starkes
Symbol werden oft Bäume verwendet, aber es gibt auch andere Beispiele.
Beispiel Biber fällt Bäume
Der Biber fällt Bäume. Das ist allgemein bekannt. Redet man
jetzt über den Baumschutz länger als es manch einer aushalten kann, dann kommt
oft der Satz: „Biber dürfen Bäume fällen und wir nicht oder wie?“ darauf folgt
ein kurzes sarkastisches Lachen und man kommt wieder auf das Thema zurück. Es
handelt sich immer um eine rhetorische Frage auf die ich aber gerne mal
antworten möchte: Ja, der Biber darf Bäume fällen! Er ist der größte
Landschaftsgärtner unter den Tieren und gestaltet sich seinen Lebensraum aktiv
selbst, dabei kann er ganze Gebiete unter Wasser setzen, welche dadurch zu
neuem Lebensraum für andere Arten werden. Moore wurden dadurch schon auf ganz
natürliche Weise wieder renaturiert. Meist fällt der Biber Bäume, die aus der
Basis wieder neu austreiben, wie Weiden, Pappeln und Eschen. Seine Nachkommen
profitieren dann wiederum von diesen neuen Baumbeständen.
Beispiel Kormoran tötet Bäume
Kormorane nisten in Brutkolonien gemeinsam von wenigen
Dutzend bis zu über mehreren Tausend Exemplaren in Baumbeständen im Uferbereich
und besonders gerne auf Inseln. Im Landkreis Oder-Spree gibt es mindestens zwei
kleine Inseln, die zum Brüten von Kormoranen genutzt werden. Das Problem aus
der Sicht einiger Menschen: Der Baumbestand in dem die Kormorane brüten stirbt
immer vollständig ab, da dieser vom Kot der Kormorane vollkommen eingekalkt
wird. Wenn der Mensch solche Inseln nun touristisch erschließen will lautet ein
Argument: Durch den Kormoran sind die Bäume vollkommen abgestorben! Wir sollten
sie von dort vergrämen damit sich die Bäume erholen können und wir die Insel
touristisch erschließen können. Außerdem sieht das doch furchtbar aus, diese
abgestorbenen Bäume! Ob das jetzt ästhetisch ist, darüber lässt sich streiten,
denn auch abgestorbene Bäume und vor allem tote Bäume die noch stehen, bieten
einen eigenen Lebensraum für zahlreiche Tierarten. Wenn lokale Baumbestände
durch den Kormoran eingehen dann ist das ein natürlicher Vorgang. Verlässt die
Kolonie das Gebiet aus irgendeinem Grund, dann kann es an diesem Ort auch
wieder Bäume geben. Mein Tipp: Erschließen Sie das Gebiet touristisch indem Sie
die Insel nicht betreten und vom anderen Ufer die Kolonie mit dem Fernglas
beobachten!
Beispiel Fische töten Amphibien
Die europäische Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, die
Gewässer in einen guten Zustand zu versetzen. Hierfür werden seit Jahren unter
anderem Altarme wieder angeschlossen. Dazu kann auch gehören, dass man ein
stehendes Gewässer mit einem Altarm anschließt. Haben Naturschützer jetzt
dieses stehende Gewässer als Amphibienbiotop ausgemacht, kann schon mal die
Forderung lauten, dieses Gewässer nicht mit dem Altarm zu verbinden, da sonst
Fische in das Gewässer eindringen können und den Laich der Amphibien fressen.
Müssen wir Amphibienlaich vor Fischen schützen? Die Antwort lautet nein. Denn
wir können uns nicht eine Wunschtierart aussuchen und diese dann vor ihren
Prädatoren (Räuber) schützen. Wo fangen wir an, wo hören wir auf? Und was ist
mit den Fischarten, die auf der Roten Liste stehen und sich unter anderem von
diesem Amphibienlaich ernähren? Wir könnten dann soweit gehen, dass wir uns
Lieblingsbakterien aussuchen und diese vor ihren Feinden schützen. Das ist
nicht unsere Aufgabe.
Beispiel Sukzession lässt Wildbienen verschwinden
Ehemalige Truppenübungsplätze bieten eine sehr hohe Anzahl
an Wildbienenarten, da sie ideale Lebensbedingungen bieten: Warme, trockene
Böden mit niedrigen Kraut- und Halbstrauchpflanzen. Greift man in dieses Gebiet
nicht weiter ein findet eine Sukzession statt: Der Boden wird durch Laubfall
und abgestorbene Pflanzen mit Nährstoffen angereichert. Es folgt zuerst eine
Verbuschung (Offenland) die dann in einen Wald übergeht. Die Wildbienen
verschwinden aus dem Gebiet. Muss man die Fläche künstlich offen halten durch
regelmäßiges Mähen oder Beweidung damit die Wildbienen dort existieren können?
Auch das kann mit nein beantwortet werden. Denn laut dem Mosaik-Zyklus-Konzept
existieren alle Sukzessionsstadien nebeneinander. Dabei werden durch Störungen
in der Natur die Entwicklungsstadien wieder zurückgesetzt. Stirbt ein Baum ab
und fällt um, dringt wieder Licht auf den Boden: es entsteht ein neuer „Mini“
Lebensraum.
Wir müssen eine Wildnis zulassen und der Natur ihren Raum
geben, sich selbst zu zerstören und auch wieder zu erneuern. Dabei dürfen wir
uns nicht als „Wunschartenschützer“ verstehen indem wir uns eine Lieblingstier-
oder pflanzenart raussuchen und diese dann vor allen tödlichen Einflüssen
schützen. Ein Gebiet schützen wir am besten indem wir keine Eingriffe tätigen.
Um positive Prozesse zu beschleunigen können wir sicher einiges tun, wie zum
Beispiel Neophyten (fremdländische Pflanzen) oder Schadstoffe aus einem Gebiet
herausnehmen oder Gewässer in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.
Warum selbst Naturschützer nicht immer diese Meinung
vertreten ist klar: Der Mensch steht an oberster Stelle in der Hierarchie. Wir
haben den Planeten so sehr unter Kontrolle, dass wir uns mittlerweile darauf
einigen müssen, dass die jetzige Eiszeit in der wir uns gerade befinden beendet
ist. Wir befinden uns eigentlich in einem neuen Zeitalter, das lediglich global
anerkannt werden muss: Das Anthropozän (das menschlich gemachte Neue
Zeitalter). Es ist daher vollkommen klar, dass es uns sehr schwer fällt eine vom Menschen unbeeinflusste existierende Wildnis anzuerkennen, in der Prozesse ablaufen auf die wir keinen Einfluss haben.
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