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Zu einem richtigen Dorfleben gehört die Teilnahme an Festen,
Vereinssitzungen, Parteiversammlungen, öffentlichen Redaktionssitzungen und
alle weiteren Möglichkeiten mit Freunden und Fremden zusammen zu kommen, um
interessante Gespräche zu führen und den neuesten Klatsch und Tratsch
auszutauschen. Dabei ergeben sich ungeschriebene Gesetze, die es einzuhalten
gibt:
Solche Treffen dauern immer drei Stunden, auch wenn nur zwei
Stunden angegeben wurden. Kommt man etwas später zu einer Versammlung, die an
einem Tisch in einem Restaurant stattfindet, klopft man zweimal auf den Tisch
und verwendet... und das ist jetzt ganz wichtig...man verwendet die folgenden
Worte, die man auf keinen Fall abändern darf und die es WORTWÖRTLICH
auszusprechen gilt: „Ich mach’ mal so...“. Daraufhin allgemeines Gemurmel und
per Antwort kommt ein Zurückklopfen der Teilnehmer. Dieses Verhalten entsteht
aus der Verlegenheit nicht jedem Einzelnen die Hand schütteln zu wollen und
geführte Gespräche damit zu unterbrechen. Handelt es sich um eine
Ur-Ost-Kneipe, in der sich seit 1989 kaum etwas verändert hat und in der sich
eine Stammkundschaft unter 20 Leuten befindet, kann es passieren, dass der
hereinkommende Gast JEDEM in der Kneipe an JEDEM Tisch die Hand gibt, auch wenn
er sein Gegenüber nicht kennt.
Durcheinander sprechen darf man bei Stammtischen immer und
bei Sitzungen erst nach dem letzten Tagesordnungspunkt, der immer „Sonstiges“
lautet, am längsten dauert und die interessantesten Neuigkeiten beinhaltet. Möchte man die Frauenquote in seiner Gruppierung erhöhen, sollte man unbedingt auf das Wort "Stammtisch" verzichten. Das Image vom Stammtisch besteht aus einem verrauchten Hinterzimmer, an dem nur Männer sitzen. Das wirkt nicht einladend für Frauen. Besser sind Wörter wie Treffen, Runde, Café oder ähnliche.
Sitzen Fremde am Tisch, die aus den alten Bundesländern
kommen, werden sie sich zu 100 % als „Wessis“ outen, indem sie mindestens ein-
bis dreimal im Nebensatz erzählen, dass sie aus dem „Westen“ kommen. Das mag
jetzt subjektiv an meinem Alter liegen, aber meine unausgesprochenen Gedanken
lauten daraufhin immer so: „Das interessiert keine Sau.“ Vor ein paar Monaten
wurde sogar aus einem Kontext heraus, die Frage in die Runde gestellt: „Darf ich
Euch mal bitten den Arm zu heben, wenn Ihr ursprünglich aus dem Osten kommt.“
In diesem Fall musste ich meine Gedanken sofort aussprechen, indem ich
konterte: „Hallo? Welche Sau interessiert das? Das ist vollkommen irrelevant!“
Kein „Ossi“ am Tisch traute sich daraufhin seinen Arm zu heben. Heute hörte ich
wieder so einen komischen Satz: „Jetzt im Westen...“ Jetzt? Jetzt also seit 24
Jahren? Verhaltensweisen von Ossis, wie FKK-Strände besuchen und ausschließlich
Sekt der Marke Rotkäppchen kaufen, lege ich genauso wenig an den Tag, wie ein
geringer Anteil der Wessis den folgenden Satz OHNE das Wort „den“ aussprechen:
„In Osten fahr’ ich nicht!“ Ich fühle mich selber weder als Ossi noch als Wessi
und wenn mich Ausländer oder Nicht-Berliner fragen, ob ich aus dem Osten oder
Westen komme, antworte ich mit Norden. Wir versuchen immer die Menschen in
Schubladen zu stecken, aber bei Ost und West klappt es nicht so richtig, weil
die Zeit ganz einfach ABGELAUFEN ist. Unsere Herkunft sagt kaum etwas aus über
unser heutiges HIER und JETZT. Insbesondere dann, wenn es sich um mittlerweile
24 Jahre handelt.
Die Herkunft wird bei solchen Treffen zusätzlich gerne mit
dem Wort „zugezogen“ besprochen. Ob Jemand zugezogen ist, also nicht
ursprünglich in dem Ort geboren und aufgewachsen ist, wird oft und gerne mit
dem Wort „zugezogenen“ erwähnt. Daraus ergeben sich manchmal absurde Dialoge,
wenn der „Zugezogene“ auf die Frage, seit wann er denn hier wohnt, so etwas
antwortet wie: Seit 30 Jahren. Ob man nun Ureinwohner in dem Dorf ist oder
gerade erst zugezogen ist, hat aber absolut nichts mit dem Willkommen sein zu
tun. Es ist lediglich ein subjektives Empfinden, wann man sich im Ort heimisch
fühlt. Noch nie habe ich eine Diskriminierung erlebt, in der ein Zugezogener
benachteiligt wurde. Man hat beim Meldeamt 12 Wochen Zeit seinen Wohnort zu
melden. Steht er im Ausweis, ist man einheimisch. Fertig! Will man
Bürgermeister werden, muss man seit 6 Monaten im Ort wohnen.
Die wichtigste Information, die ich zu Versammlungen geben
kann ist, dass man möglichst bis zum Schluss bleiben sollte. Wenn alles
Formelle besprochen und das ein oder andere Gläschen getrunken wurde, wird es
erst richtig persönlich und interessant. Die größten Erkenntnisse bei solchen
Treffen ergeben sich immer in den letzten 30 Minuten.
Wenn Sie jetzt Blut geleckt haben, kommen Sie doch zu
unserem nächsten „Café Kappstrom“. Ein öffentliches Redaktionstreffen der
Zeitung Kappstrom, zu dem Sie herzlich eingeladen sind. Es findet statt am 18.
September um 18 Uhr im Restaurant Athos, Eichwalder Str. 100/Strandweg 11,
15537 Gosen. Wir sind die, die immer so viel am Tisch lachen.
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